Geschichte des Karate-Dô

Manche Menschen glauben, dass das Karate eine relativ junge Kampfkunst ist, die erst im letzten Jahrhundert entstanden ist. Andere wiederum meinen, das Karate sei eine in Japan entstandene Kampfkunst, die von den Samurai entwickelt wurde. Solche Behauptungen sind allerdings so nicht ganz korrekt. Tatsächlich schaut das Karate auf eine Tradition von vielen Jahrhunderten zurück, in dem es sich allmählich in einem langwierigen Prozess entwickelt hat. Dabei hat es große Veränderungen mitgemacht, wobei die massivste in der Mitte des 20. Jahrhunderts vonstatten ging. Durch intensive Reformen wurde ein Karate geschaffen, wie wir es heute kennen. Die Herkunft allerdings liegt in der Vergangenheit und hat seinen Ursprung nicht, wie die meisten glauben, in Japan.

 

Die Wurzeln des Karate

Abbildung 1
Abbildung 1: Der gelehrte Bodhidarma
(Quelle: S. Wagener: Bumon, S.35)

Auch wenn das Karate als eine der großen japanischen Budô-Künste gilt, liegt der Ursprung dieser Kampfkunst zunächst in China. Und obgleich die Parallelen nur bedingt ersichtlich sind, so ist die Wurzel des Karate das chinesische Kung Fu. Dessen Ursprung wiederum liegt allerdings im Legendären.

Die Legende besagt, dass der indische Gelehrte Bodhidarma im 6. Jahrhundert n. Chr. in das chinesische Kloster Shaolin kam, um den indischen Buddhismus zu verbreiten. Im Kloster viel ihm sogleich die schlechte körperliche Verfassung der Mönche auf. Kurzerhand lehrte er die Mönche Formen aus der indischen Gesundheitslehre, wie das Yoga. Aus diesen Bewegungen entwickelten die Mönche schließlich Kampfformen, mit denen sie in der Lage waren sich körperlich zu ertüchtigen und obendrein sich gegen Überfälle von Banditen zu verteidigen.

In wieweit diese Legende der Wahrheit entspricht, bleibt im Dunkeln. Tatsächlich hat es schon vor Bodhidarma die Kung Fu-Kampfkunst in China gegeben und auch die Gesundheitslehre des Qi Gong. Also brachte Bodhidarma z.T. bekanntes nach Shaolin. Allerdings war der Stil, der im Shaolin-Kloster entstanden war, derart einflussreich, dass er sich in ganz China verbreitete. Natürlich ist das Shaolin-Kung Fu nicht das einzige. Es gab dabei auch noch andere einflussreiche Klöster, die ihren Stil vermittelten, wie z. B. das Kloster Wudang.

So oder so verbreitete sich das Kung Fu immer weiter und entwickelte sich zunehmend. So entstanden viele verschiedene Stile, die in einen Nord- und einen Südstil unterteilbar sind. Einer der südlichen Stile fand seinen Weg in das Inselkönigreich Ryûkyû.

 

Die Vermittlung des Kung Fu nach Okinawa

Abbildung 2
Abbildung 2: Der südosten Chinas, Taiwan und die Ryûkyû-Inseln
(Quelle: S. Wagener: Bumon, S.76)

Östlich von China und südlich von Japan liegt die Ryûkyû-Inselkette mit ihrer Hauptinsel Okinawa. Süd-Westlich, also östlich von China, liegt Taiwan. In der Zeit, die wir Mittelalter nennen, war diese Inselkette als das Königreich Ryûkyû bekannt. Dieses Königreich entwickelte zwar seine eigene Kultur, doch wurde es im Jahre 1372 von China zur Tributpflicht gezwungen. Das bedeutet, dass das Königreich unabhängig blieb und für diese Unabhängigkeit jährliche Abgaben zu entrichten hatte. Zudem erkaufte es somit das Recht mit China Handel zu treiben, was zu großem Wohlstand für Ryûkyû führte.

Diese Tributzahlungen waren natürlich mit den höchsten politischen Ritualen verbunden. Der Aufwand bestand nicht nur in den äußerst aufwendigen und damit kostspieligen, diplomatischen Ritualen, sondern auch in der großen militärischen Logistik, die damit verbunden war. Die Abgaben mussten zunächst einmal in Materialform nach China geschafft werden, was natürlich auch Räuber und Piraten auf den Plan rief. Von daher war stets eine hohe Anzahl an Soldaten bei diesem Staatsakt zugegen, die sicherlich auch ihren Teil zur Vermittlung der Kampfkunst beitrugen. Den eigentlichen Beitrag lieferte allerdings der generelle kulturelle Austausch zwischen den Reichen. Es wurde bei Hofe auf Okinawa gern gesehen, wenn man der chinesischen Mode folgte. Weiter kam es vor, dass Chinesen nach Ryûkyû übersiedelten und umgekehrt. Der Buddhismus führte zu kulturellen Verschmelzungen, weshalb Gelehrte und Geistliche in das je andere Land zu Studienzwecken reisten. Somit gab es genügend Möglichkeiten für die Vermittlung des Kung Fu nach Ryûkyû.

 

Vom Kung Fu zum Karate

Abbildung 3
Abbildung 3: Eine der Abbildungen
aus dem geheimen Lehrbuch Bubishi
(Quelle: S. Wagener: Bumon, S. 100)

Als sich das Kung Fu in Ryûkyû etablierte, entwickelte sich auch schnell ein eigener Ryûkyû-Stil. Diesen nannten die Menschen dort allerdings nicht Kung Fu, sondern Tôde, was soviel wie Kunst aus China bedeutet. Man war sich also stets bewusst, dass es eine fremde Kunst ist, die man praktizierte. Doch wurde der tiefe Respekt der Herkunft dieser Kunst mit dem Namen ausgedrückt. Im Japanischen bedeutet Tôde Kara-Te, also bedeutet Karate zunächst einmal Kunst aus China. Te bedeutet allerdings nicht nur Kunst, sondern auch Hand, bzw. Handkunst und Kara bedeutet China. Somit bedeutet der Begriff auch Handkunst aus China oder chinesische Hand.

Das Königreich Ryûkyû hörte allerdings schlagartig auf zu existieren. Annähernd sechshundert Jahre war das Inselkönigreich in einer kulturellen Blüte durch die Tributpflicht mit China. Schließlich wurde das Königreich im Jahr 1879 endgültig von Japan annektiert und aufgelöst. Es entstand die Provinz Okinawa. Nun begann der Kulturtransfer mit Japan, durch den die Kampfkunst aus Okinawa nach Japan kam.

 

Wie das Karate nach Japan kam

Datei:Funakoshi.jpg
Abbildung 4: Gichin Funakochi 1868-1957
(Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie)

Für uns ist hierbei Meister Gichin Funakoshi (1868-1957) interessant, der Begründer unseres Shôtôkan-Stil. Dieser ging nach Japan, um dort für seine Kampfkunst zu werben. Nachdem er seine Kunst in den 20er Jahren vor dem japanischen Kronprinzen vorgeführt hatte, bekam er die Einladung in Japan zu bleiben, um dort eine Schule zu eröffnen. Er war allerdings nicht der einzige Meister, der von Okinawa nach Japan ging, um dort ein Karate-Dôjo zu eröffnen. So entstanden mehrere neue Karate-Stile, wobei das Shitô-Ryû, das Wadô-Ryû und auch unser Shôtôkan-Ryû die größten sind.

Die Karate-Stile, die nach Japan gebracht wurden, bzw. sich dort entwickelten, konnten so in ihrer alten Form nicht in Japan Fuß fassen. Dort gab es schließlich die uralte Tradition der Budô-Künste. Also musste das Tôde erst japanisiert und zu einer Budô-Kunst umstrukturiert werden. Dabei war Funakoshi recht erfolgreich und konnte viele Schüler in seine neuen japanischen Schule aufnehmen. Nachdem das Karate in die Riege der Budô-Künste aufgestiegen war, verbreitete es sich schnell in ganz Japan.

Im Zuge des Nationalismus in Japan war allerdings der Name Karate, also Kunst aus China, nicht sonderlich gerne gesehen. Man konnte und wollte sich nicht damit abfinden, etwas zu erlernen, dass aus China kam. Doch wurde nicht nur der Name verändert, seitdem Gichin Funakoshi nach Japan gekommen war, sondern noch erheblich mehr.

 

Die Bedeutung des Wortes Karate

Wie wir schon gesehen haben, ist Karate der japanische Ausdruck für Tôde, was wiederum Kampfkunst aus China oder chinesische Hand bedeutet. Die japanische Übersetzung wurde in dem Moment fällig, als sich diese aus Okinawa stammende Kampfkunst in Japan etablierte. Im Zuge des in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommenden Nationalismus, stellte die deutlich im Namen verankerte Herkunft Chinas ein großes Problem dar. Denn im nationalistischen Japan war es nicht gern gesehen, dass etwas aus China vermittelt wurde und nicht in Japan entstanden war. Folglich wurde schnell überlegt, den Namen dieser Kampfkunst zu ändern. Als Zufall ist es zu bewerten, dass im japanischen das Wort Kara nicht nur China, sondern ebenso Leer bedeutet. Das Wort ist das gleiche, lediglich das Schriftzeichen (Kanji) ein anderes. Mit der Änderung des Kanji konnte der Name beibehalten werden, obgleich dieser nun eine völlig andere Bedeutung hatte. So hieß die Kampfkunst nicht mehr Chinesische Hand, sondern Leere Hand.

 

Karate: Eine junge Kampfkunst?

Bis heute hält sich vielfach der Glaube, dass das Karate eine Kampfkunst ist, die es erst seit sehr kurzer Zeit existiert. Dies hängt zum Teil mit der Änderung des Namens von Chinesische Hand zu Leere Hand zusammen. Dadurch bekam das Karate eine japanische Note und wurde zum japanischen Karate-Dô. Hierbei handelt es sich allerdings nur eine vergleichsweise geringe Veränderung. Der eigentliche Wandel, der es so erscheinen lässt, als sei es eine junge, japanische Kampfform, ist die umfangreiche Reformierung des Karate-Dô. Zunächst war es Gichin Funakoshi, der sein Shuri-Te von Okinawa nach Japan brachte und es dort 'japanisierte'. Es entstand der Shôtôkan-Stil. Sein Sohn Yoshitaka Funakoshi arbeitete bis zu seinem Tod weiter an diesem Stil. Die massivsten Veränderungen, die das Shôtôkan-Ryû betrifft, wurden allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg durchgeführt. Das Karate wurde immer internationaler und damit auch zunehmend turnierlastiger. Es wurde bewusst zu einem Turniersport verändert. In diesem Zuge gründete sich auch die Japan Karate Associoation (JKA), ein Verbund, der auf Wettkampf ausgelegt war. Das Sport- und Turnierkarate ist nicht mehr jenes, welches z.B. Gichin und Yoshitaka Funakoshi lehrten.

Es hat also erst in jüngerer Zeit eine Wandlung von der Kampfkunst zum Kampfsport stattgefunden. Daher sollte sich jeder Karateka im Klaren sein, dass er sein Karate als Turniersport und als Kampfkunst ausführen kann. Er kann einen dieser beiden Wege wählen, oder beide zugleich beschreiten. Denn gegen eine Verschmelzung von traditionellem und sportlichen Karate ist nichts einzuwenden. Wichtig ist nur, dass sich der Karateka immer im Klaren ist, was er praktiziert, wo es herkommt und welche Verantwortung im damit zukommt.

 

Unser Stil Shôtôkan-Ryû

Datei:ShōtōkanTiger.svg
Abbildung 5: Das Symbol der Stilrichtung:
Die Tigerrolle
(Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie)

Das Shôtôkan-Ryû geht auf Gichin Funakoshi zurück. Wie wir schon erfahren haben, ging dieser nach Japan um dort sein Karate zu vermitteln. Shôtô war der Künstlername des Funakoshi, mit dem er seine Gedichte und Kalligraphien unterzeichnete. Kan bedeutet soviel wie Haus. Also bedeutet Shôtôkan Haus des Shôtô.

In der Kampfkunst haben Tiere eine große Bedeutung, da die frühen Kampfkünstler immer wieder Bewegungen aus der Tierwelt entlehnten. Es ging darum, genau zu beobachten und abzuleiten. So sind der Drache, der Tiger, der Leopard, der Kranich und die Schlange die wichtigsten Tiere für das Karate. Viele Techniken werden einem Tier zugeordnet.

So ist das Tier, welches im Shôtôkan-Ryû primär als Vorbild genommen wird, der Tiger. Dieses edle Tier gilt als eines der stärksten und ist sehr energisch. Daher verwendet man die tiefen, kraftvollen Stände. Auch die Angriffe sind kraftvoll, zielgerichtet und dabei sehr kompromisslos. Wie der Tiger soll der Shôtôkai schnell zuschlagen und den Kampf nach besten Möglichkeiten mit einem Schlag zum Ende kommen lassen. Doch auch die edlen Tugenden, die dem Tiger zukommen, müssen beachtet werden. Nie darf der Kampf gesucht werden. So wie der Tiger soll sich der Shôtôkai edel und ehrenhaft verhalten, was ein Missbrauch der Kampfkunst quasi ausschließt.

Ein Lehrsatz von Meister Gichin Funakoshi besagt:

Karate ni sente nashi
 

(Es gibt keine erste Bewegung im Karate)

Ein Lehrsatz von Meister Kanga Sakugawa besagt:

Hitotsu jinkaku kansei ni tsutomuru koto

(Es ist wichtig, nach der Vervollkommnung des Charakters zu streben)

 

Literaturempfehlung

Wenn du weiter in die Geheimnisse der Kampfkünste eintauchen möchtest, empfehlen wir dir folgende Bücher

Bumon

Bumon

von Sascha Wagener

 

Zu bestellen bei Hakutsurukan, Preis: 22,00 €.

Buchcover

Karate Do Kyohan

von Gichin Funakoshi

Buchcover

Modernes Karate

von Teruyuki Okazaki und Milorad V. Stricevic

Buchcover

Kampfkunst als Lebensweg

herausgegeben von Florian Markowetz und Uschi Schlosser-Nathusius

Buchcover

Karate-do: Mein Weg

von Gichin Funakoshi

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.